Erythromma lindenii (Selys, 1840) / Saphirauge

Synonyme


Cercion lindenii (Selys, 1840), Pokaljungfer, Pokal-Azurjungfer

Rechtlicher Schutz und Rote Liste


Artenschutzrechtlicher Schutzstatus:BG (besonders geschützt)
Rote Liste Deutschland:* (derzeit keine Gefährdung)
Rote Liste Sachsen:R (extrem selten)

Allgemeine Arteninformationen


Taxonomie

Die vom südwestlichen Hauptareal abgetrennten Populationen im nordöstlichen Mitteleuropa wurden aus Brandenburg als eigene Unterart E. l. lacustre (Beutler, 1985) beschrieben. Der Status dieses Taxons, zu dem vermutlich auch die (ost-)sächsischen Tiere gehören, ist jedoch umstritten (vgl. Zipfel & Xylander 2000, Xylander & Richter 2002). Sie stellen vermutlich das Relikt eines Nordvorstoßes im Atlantikum, d. h. vor ca. 6000 Jahren, dar (Beutler 1985).

Potenziell möglich ist außerdem die Besiedlung Westsachsens durch Individuen westlicher Herkunft, die im Zuge einer Ausbreitungswelle aktuell bis Thüringen und Sachsen-Anhalt vorgedrungen sind.

Kennzeichen

Mittelgroße Azurjungfer. Männchen sind leuchtend hellblau mit einem „Torpedomuster“ auf dem 3. bis 6. Hinterleibssegment und ungewöhnlich langen oberen Hinterleibsanhängen. Weibchen sind oberseits schwarz, Kopf, Brust, Hinterleibsbasis und -ende hellgrün, die mittleren Hinterleibssegmente im Kontrast dazu hellblau. Verwechslungsgefahr mit anderen „Azurjungfern“, besonders mit der Becher-Azurjungfer (Enallagma cyathigerum), ist sehr hoch. Anhand der Ausdehnung des blauen „Schlusslichts“ am Hinterleibsende lassen sich die Männchen beider Arten aber bereits aus der Entfernung mit einem Fernglas unterscheiden: Bei der Becher-Azurjungfer umfasst es die Segmente 8 und 9, bei der Pokal-Azurjungfer nur das 9. Segment, während das 8. oberseits schwarz ist.

Nachweise der Art sollten mindestens durch Belegfotos abgesichert werden.

Die Larven/Exuvien besitzen, wie die anderen Erythromma-Arten, auffallende Borstenhaare an der Unterseite der Hinterleibssegmente. Eine sichere Bestimmung ist jedoch nur unter dem Mikroskop möglich.

Biologie und Ökologie

Die Pokal-Azurjungfer bevorzugt oligo- bis mesotrophe stehende Gewässer oder schwach strömende Fließgewässer. An Standgewässern wird das Vorkommen vermutlich durch einen leichten Grundwassereinfluss oder Durchströmung von Zuflüssen begünstigt. Besiedelt werden durchströmte Altarme, Altwasser, natürliche und anthropogene Seen (Tagebaue, Kiesgruben etc.), größere Teiche und Weiher sowie Kanäle und beruhigte Flussabschnitte. An den meisten Entwicklungsgewässern ist eine reiche Schwimm- und Tauchblattvegetation ausgebildet, daneben auch ufernahe Röhrichte und Seggenrieder. Die meisten Imagines halten sich an den wasserseitigen Rändern der Röhrichtgürtel und über den Rasen der aquatischen Vegetation auf. Sie fliegen typischerweise sehr flach (1–2 cm) über der Wasseroberfläche und setzen sich häufig auf Schwimmpflanzen oder an niedrigen Vertikalstrukturen ab (z. B. Blütenstände von Tausendblatt oder Laichkräutern). Weibchen kommen nur zur Fortpflanzung ans Gewässer, die Eiablagen erfolgen meist untergetaucht an Wasserpflanzen. Die Biologie der Larven ist weitgehend unbekannt, die Entwicklungszeit beträgt in Mitteleuropa wahrscheinlich 1 Jahr, im südlichen Europa können sich zwei Generationen pro Jahr entwickeln. Der Schlupf der Imagines kann an vertikalen Strukturen (Pflanzenstängel etc.) erfolgen, aber auch in horizontaler Lage auf Schwimmblättern oder Algenwatten.

Das Ausbreitungsvermögen von E. lindenii ist überdurchschnittlich groß. Gegenwärtig findet eine deutliche Arealexpansion in Richtung Nordosten statt. In Brandenburg ist zukünftig eine Neubesiedlung der Tagebaurestseen in der Niederlausitz zu erwarten.

Überregionale Verbreitung

Westmediterranes Faunenelement. Vom Mittelmeergebiet östlich bis in den Nahen Osten verbreitet. In Mitteleuropa ursprünglich nur im Süden/Südwesten, daneben ein disjunktes Teilareal im subglazialen Rinnensystem Brandenburgs und Nordwestpolens. Seit etwa 1970 deutliche Nord- bzw. Nordostexpansion, die aktuell Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erreicht hat.

Erhaltungszustand


Erhaltungszustand

ungünstig-unzureichend (Gutachterliche Bewertung)

Hinweise Erhaltungszustand

Der derzeitige Besiedlungsstand der Tagebaurestgewässer in Ostsachsen ist nur ungenügend bekannt. Seit der Feststellung am Knappensee im Jahr 2002 wurde die Art nur 2009 durch gezielte Suche an diesem Ort bestätigt. Im gleichen Jahr gelang ein Nachweis von 2 Männchen in der Tagebaufolgelandschaft bei Zittau.

Prüfung und Erfassung


Einstufung nach F+E-Projekt Artenschutzkonzeption 2012

Lokal umzusetzende Artenhilfsmaßnahmen, Priorität 1 (höchste)

Untersuchungsstandards

Nachweise der Art sind aufgrund ihres hauptsächlichen Aufenthaltes über Schwimmpflanzen und an den seeseitigen Röhrichtkanten relativ schwer zu erbringen. Sie gelingen häufig nur durch erfahrene Erfasser, die gezielt nach Einzelindividuen der Art inmitten zahlreicher anderer Kleinlibellen suchen. Als Hilfsmittel ist ein Fernglas an größeren Gewässern unabdingbar. Auch das wasserseitige Absuchen von Ufervegetation mit Hilfe von Watstiefeln kann erfolgreich sein. Erschwerend ist allerdings, dass die Ufer von Tagebaurestseen (dem potenziellen Lebensraum in Sachsen) meist nicht betretbar sind. Die effektivste Methode ist die Suche nach Imagines in den Monaten Juni bis August. Wird eine größere Anzahl von Imagines nachgewiesen, kann i. d. R. von einer bodenständigen Population ausgegangen werden (Status C – Reproduktion wahrscheinlich). Ergänzende Suche nach frisch geschlüpften Individuen sollte zur Absicherung erfolgen (Status D – Reproduktion nachgewiesen). Zur Nachweisführung sollten mindestens drei über die Hauptflugzeit verteilte Begehungen erfolgen. Bei optimaler Witterung (sonnig, windstill bis windarm) sind Imagines besonders vom Vormittag bis in den frühen Nachmittag an den Ufern vorgelagerten Wasserröhrichten oder über Tauch- und Schwimmblattrasen sowie Algenwatten nachweisbar (Fernglas!). Bei bedecktem Himmel sind die Fortpflanzungsaktivitäten deutlich eingeschränkt, jedoch sind bei Windstille auch dann sitzende Tiere in oder auf der aquatischen Vegetation anzutreffen. Ganztägig, auch bei ungünstiger Witterung, können Imagines (besonders Weibchen und Jungtiere) in windgeschützten Lagen des umgebenden Offenlandes gesucht werden. Die Suche nach Exuvien ist wegen der schwierigen Begehbarkeit der Ufer von Tagbaurestseen nur bedingt möglich. Ein hoher Anteil an Imagines kann außerdem in einiger Entfernung vom Ufer in der aquatischen Vegetation schlüpfen.

Außerhalb bekannter Vorkommensgebiete sollten Fänge durch Fotos (seitlich und von oben) belegt werden. Exuvien und Totfunde sind zur Nachbestimmung aufzubewahren.

Vorkommen


Status Etablierung

Indigene, Ureinheimische (Reproduktion)

Nachweisabsicherung

Ja

Langfristiger Bestandstrend

mäßiger Rückgang

Kurzfristiger Bestandstrend

deutliche Zunahme

Bestand

Die Kenntnisse zum Bestand der Art in Sachsen sind äußerst ungenügend und bruchstückhaft. Historische Nachweise der Art fehlen. Erythromma lindenii wurde im Juli 2002 erstmals für Sachsen am Knappensee bei Hoyerswerda in geringer Individuenzahl (19 Individuen) nachgewiesen (Xylander & Richter 2002). Im Jahr 2009 wurden hier noch einmal ca. 200 Imagines angetroffen, so dass von einem Fortbestand der Population auszugehen ist. Die nächsten bekannten Vorkommen befinden sich in etwa 40 km Entfernung in Südbrandenburg. Es erscheint möglich, dass in der Bergbaufolgelandschaft der Lausitz weitere Populationen existieren, die bisher übersehen wurden. Dazu passt auch ein Nachweis aus dem Bereich des ehemaligen Tagebaus Olbersdorf bei Zittau.

Potenziell möglich ist außerdem die Besiedlung der Tagebaufolgelandschaft Nordwestsachsens durch Individuen westlicher Herkunft, die im Zuge einer Ausbreitungswelle aktuell bis Thüringen und Sachsen-Anhalt vorgedrungen sind.

Vorkommenskarte

Vorkommenskarte

Phänologie


Phänogramm

Phänogramm

Lebensraum


Fortpflanzungsstätten: Die 2002 nachgewiesenen Imagines flogen am Knappensee, einem Restloch des Braunkohletagebaus, in der Uferzone an Röhrichten und Seggenriedern, wobei die Imagines oft an Einstiegsstellen oder sonstigen Rändern der Röhrichtgürtel Abundanzmaxima zeigten. Emerse Anteile von Tausendblatt (Myriophyllum spicatum), z. B. Blütenstände, wurden als Ansitzwarten genutzt (Xylander & Brockhaus 2005)

Hinweise zur Abgrenzung von Populationen: Betrachtungsmaßstab unterhalb der Ebene Landkreis, in Sekundärlebensräumen Abbaugebiet, ansonsten Einzelgewässer oder Teichgruppe

Habitatkomplexe

  • Bergbaubiotope
  • Stillgewässer inkl. Ufer

Habitatkomplexe Reproduktion

  • Bergbaubiotope
  • Stillgewässer inkl. Ufer

Ökologische Charakterisierung

  • Gewässer mit besonderer Struktur
  • Standgewässer
  • Ufer

Höhenstufen

  • planar

Management


Beurteilung

Die unklare Datenlage zum Vorkommen in Sachsen erschwert Aussagen zu Gefährdung und daraus folgendem Handlungsbedarf. Aktuell ist nur zu vermuten, dass ein weiterer Fortschritt der Restlochflutung, pH-Werterhöhung und Nährstoffzunahme an den Gewässern einen möglicherweise positiven Einfluss auf die Population(en) haben werden.

Management

  • Präsenzerfassung in Restgewässern des Braunkohle- und Kiestagebaus in Ost- und Nordwestsachsen
  • Gezielte Präsenzuntersuchungen am Knappensee und benachbarten Gewässern sowie im Bereich des ehemaligen Tagebaus Olbersdorf
Zentrales Medium für die Sammlung von Artdaten in der Naturschutzverwaltung des Freistaates Sachsen ist die Zentrale Artdatenbank beim LfULG: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/8048.htm; Aktuelle Übersichtskarten der Verbreitung von Arten in Sachsen können unter folgendem Link abgerufen werden: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/infosysteme/ida

Gefährdungen


Nach Xylander & Brockhaus (2005) sind derzeit keine Gefährdungen bekannt.

Sonstiges


Bearbeitungsstand und Bearbeiter des Artensteckbriefes

Offizieller Artensteckbrief des LfULG; Stand: 10.02.2014; Bearbeiter: Marko Olias und Dr. André Günther (Naturschutzinstitut Freiberg); Hinweise und Änderungsvorschläge bitte an: Heiner.Blischke@smul.sachsen.de

Legende zum Artensteckbrief unter: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/22872.htm; Informationen zur Artengruppe für Sachsen: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/22988.htm