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Onychogomphus forcipatus (Linnaeus, 1758) / Kleine Zangenlibelle (Sachsen)

Rechtlicher Schutz und Rote Liste


Artenschutzrechtlicher Schutzstatus:BG (besonders geschützt)
Rote Liste Deutschland:V (zurückgehende Art lt.Vorwarnliste, zurückgehende Pflanzengesellschaften (keine Gefährdungskategorie!))
Rote Liste Sachsen:1 ((akut) vom Aussterben bedroht)

Allgemeine Arteninformationen


Taxonomie

Im größten Teil Europas kommt die Nominatform O. f. forcipatus vor, im westlichen Mittelmeerraum die Unterart O. f. unguiculatus (Vander Linden, 1823), im östlichen O. f. albotibialis Schmidt, 1954.

Kennzeichen

Wie die meisten Flussjungfern überwiegend schwarz und gelblich gefärbte, schlanke Großlibelle. Anhand der zangenartig ausgebildeten Hinterleibsanhänge sind die Männchen leicht als „Zangenlibelle“ (Gattung Onychogomphus) zu erkennen. Typisch für die Gattung sind außerdem die breiten, unregelmäßig verlaufenden seitlichen Brustbinden. Als Verwechslungsarten treten in Sachsen die Gemeine Keiljungfer (Gomphus vulgatissimus), die Asiatische Keiljungfer (Gomphus flavipes) und die Grüne Keiljungfer (Ophiogomphus cecilia) auf. G. vulgatissimus hat als einzige Art vollständig schwarze Beine (bei den anderen hell gestreift). O. cecilia ist durch die deutlich grüne Brustfärbung unverwechselbar (bei O. forcipatus ist nur im Alter eine schwach dunkel-grünliche Färbung erkennbar). Männchen von G. flavipes fehlt die keulige Verdickung des Hinterleibsendes und die „Zange“, die Brustseitenstreifung ist viel schmaler und regelmäßiger ausgebildet. Erfahrenen Beobachtern gelingt die Bestimmung der Arten aus einiger Entfernung mit dem Fernglas.

Larven und Exuvien sind durch die flache Fangmaske und die Form der Fühlerglieder gut als Flussjungfer erkennbar. Exuvien sind anhand ihrer geringen Größe (22–25 mm) und der schwach entwickelten Rückendornen eindeutig bestimmbar. Jüngere Larvenstadien sind dagegen nur schwer zu identifizieren.

Biologie und Ökologie

Onychogomphus forcipatus besiedelt Fließgewässer und Brandungsufer von Seen. Die Larven sind an die Lebensweise in vegetationsarmem bis -freiem, sandig-kiesigem Substrat angepasst. Sie graben sich aktiv in das Substrat ein oder verstecken sich in Spalten zwischen Steinen. Sie besiedeln Zonen mit starken bis schwachen Strömungsverhältnissen. Die in Norddeutschland besiedelten Seen zeichnen sich sogar nur durch einen leichten Wellenschlag aus. Die Zeit der Larvenentwicklung kann in Mitteleuropa zwischen 2 und 4 (–5) Jahre betragen. Die Larven können in vertikaler und horizontaler Lage schlüpfen, entweder direkt am flachen Ufer (mit dem Abdomen teilweise noch im Wasser) oder an Steinen, Pflanzenstengeln, Buhnen, Uferkanten etc. Die Reifephase verbringen die meisten Tiere in höherer Entfernung zum Gewässer (teils mehrere Kilometer) und kehren erst zur Fortpflanzung zurück. Bei Sonnenschein bilden die Männchen am Gewässer Reviere, die verteidigt werden, bei Bewölkung ziehen sie sich in nahegelegene Vegetation zurück. Die Eiablage der Weibchen erfolgt wahrscheinlich über den Larvenlebensräumen direkt ins Wasser.

Das Ausbreitungsvermögen entlang eines Gewässersystems ist offensichtlich sehr hoch, wie viele Wieder- und Neubesiedlungen der letzten Jahre zeigen. In welchem Maße Imagines über verschiedene Gewässersysteme hinweg wechseln, ist dagegen unbekannt.

Überregionale Verbreitung

Die Nominatform ist über ganz Mittel- und das nördliche Osteuropa verbreitet, nach Osten bis zum Kaukasus und Ural. Quer über das südliche Frankreich, Italien und den Balkan verlaufen die Grenzen zum westlichen O. f. unguiculatus und dem östlichen O. f. albotibialis. Vermutet werden einerseits fließende Übergänge, andererseits auch syntopes Vorkommen der Taxa in den Übergangszonen.

Erhaltungszustand


Erhaltungszustand

ungünstig-schlecht (Gutachterliche Bewertung)

Hinweise Erhaltungszustand

Außer den zweifelsfreien Larvennachweisen aus dem Kieperbach (Großenhainer Pflege) gibt es keine aktuellen Hinweise auf reproduzierende Populationen von sächsischen Gewässern, obwohl die Art historisch von vielen Orten belegt ist. An den meisten Fließgewässern wurden in den letzten ca. 20 Jahren intensive Erfassungen der Libellenfauna durchgeführt, ohne dass O. forcipatus gefunden werden konnte. Ein Einzelnachweis an der Freiberger Mulde zwischen Gleisberg und Roßwein weist darauf hin, dass eine Wiederbesiedlung Sachsens aus angrenzenden Regionen in Bayern und Böhmen, evtl. auch aus Brandenburg (Nachweise von Imagines am Senftenberger See) zukünftig möglich ist.

Prüfung und Erfassung


Einstufung nach F+E-Projekt Artenschutzkonzeption 2012

Lokal umzusetzende Artenhilfsmaßnahmen, Priorität 1 (höchste)

Untersuchungsstandards

Neben Sichtbeobachtungen von Imagines sollte standardmäßig die Suche nach Exuvien und schlüpfenden Imagines am Gewässerufer erfolgen. Hierzu sollten Uferabschnitte in den Monaten Juni und Juli mindestens dreimal kontrolliert werden. Gleichzeitig und anschließend bis in den August hinein sollte eine Suche nach Imagines an ufernahen Gehölz- und Saumstrukturen erfolgen. Beim Vorhandensein von geeigneten Sitzmöglichkeiten im Wasser (offene Kies- und Schotterbänke, größere Steine) sollten diese nach territorialen Männchen abgesucht werden.

Zur Suche frischer Exuvien oder gerade schlüpfender Tiere sind sowohl die ufernahe Vegetation als auch Steine und offene Uferstellen von der Wasserkante bis mehrere Meter landeinwärts abzusuchen. Alte und verdriftete Exuvien findet man auch im angespülten Genist weit oberhalb der aktuellen Wasserlinie. Für Abundanzuntersuchungen ist zu berücksichtigen, dass die Exuvien direkt an der Wasserlinie schlüpfender Tiere schnell weggespült werden können. Wenn möglich, sollten Fotobelege der Imagines angefertigt werden, Exuvien und Totfunde sollten zur Nachbestimmung gesammelt und aufgehoben werden, ebenso Larven aus Makrozoobenthos-Untersuchungen.

Vorkommen


Status Etablierung

Indigene, Ureinheimische (Reproduktion)

Nachweisabsicherung

Ja

Langfristiger Bestandstrend

sehr starker Rückgang

Kurzfristiger Bestandstrend

Daten ungenügend

Bestand

Historische Nachweise liegen aus den Flusstälern von Elbe, Zwickauer Mulde, Elster-Parthe-Pleiße und ihren Zuflussbächen sowie aus den Bachtälern des Vogtlandes vor. Bei weiteren Flüssen, z. B. der Freiberger Mulde, ist davon auszugehen, dass die Art ebenfalls vorkam, aber aufgrund von Verschmutzung durch Abwässer aus Industrie und Bergbau/Hüttenwesen schon vor Beginn der Libellenerforschung verschwunden sein könnte. Der Aussterbezeitpunkt der Art ist nicht genau dokumentiert, spätestens ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind keine Nachweise aus Sachsen mehr bekannt.

2004 wurden Larven von O. forcipatus bei Makrozoobenthos-Untersuchungen im Kieperbach (Großenhainer Pflege) gefunden und in Folgejahren bestätigt (Müller & Berger 2005). Dieses Vorkommen stellt das einzige bekannte Reproduktionsgewässer in Sachsen dar. Zwei Beobachtungen eines Männchens gelangen 2008 an der Freiberger Mulde zwischen Gleisberg und Roßwein (Günther 2008). Intensive Nachsuchen in den Folgejahren blieben allerdings erfolglos. Trotz intensiver Erfassungen der Fließwasserlibellen im Rahmen des FFH-Monitorings seit 2002 gelangen keine Nachweise der Art an anderen sächsischen Fließgewässern. Besiedelte Flusssysteme in angrenzenden Regionen Bayerns und Böhmens können als potenzielle Ausgangspunkte einer zukünftigen Wiederausbreitung in Sachsen gelten, ebenso die Tagebaurestseen der Niederlausitz, die als Trittstein zu den Vorkommen in brandenburgischen Seen fungieren können.

Vorkommenskarte

Vorkommenskarte

Phänologie


Phänogramm

Phänogramm

Lebensraum


Fortpflanzungsstätten: Ursprüngliche Fortpflanzungsstätten waren in Sachsen vermutlich reich strukturierte, naturnahe, kiesig-sandige Flüsse und Bäche mit abschnittsweise flach auslaufenden Ufern, Kies- und Schotterinseln, tiefen wasserführenden Zonen, abwechslungsreichen Strömungs- und Substratverhältnissen sowie guter Wasserqualität. Nicht besiedelt wurden wahrscheinlich die sommerkalten Bäche und Flussoberläufe der höheren Lagen. Diesem Habitatschema entspricht der Fundort aus dem Jahr 2008 an der Freiberger Mulde. Dagegen stammen die Larvenfunde aus dem Kieperbach von einem strukturell eher untypischen forcipatus-Gewässer mit stark verwachsenem, schmalem Bachlauf.

Ruhe- und Jagdstätten: Aus Sachsen liegen keine Angaben vor. Generell suchen die Tiere während der Reifephase halboffene Landhabitate auf, die mehrere Kilometer vom Schlupfort entfernt liegen können. Als Jagdgebiete dienen ufernahe Gehölzränder, Säume und gras- und staudendominierte Vegetation.

Hinweise zur Abgrenzung von Populationen: regionale Abstufung unterhalb der Ebene Landkreis, z. B. Strecke eines relativ homogenen Gewässerabschnittes

Habitatkomplexe

  • Bergbaubiotope
  • Feuchtgrünland, Staudenfluren
  • Fließgewässer, Quellen
  • Gehölze, Baumbestand
  • Stillgewässer inkl. Ufer
  • Sümpfe, Niedermoore, Ufer
  • Wälder

Habitatkomplexe Reproduktion

  • Bergbaubiotope
  • Fließgewässer, Quellen

Ökologische Charakterisierung

  • Fließgewässer
  • Gewässer mit besonderer Struktur
  • Spezielle Substrate (Totholz, Detritus, Pflanzen, Pilze)

Höhenstufen

  • collin
  • montan
  • planar

Management


Beurteilung

Die Ursachen des früheren Aussterbens der Art sind vermutlich neben der Gewässerverschmutzung in wasserbaulichen Maßnahmen mit den daraus folgenden Veränderungen der Sohl- und Uferstruktur zu suchen. Entgegen dem positiven Trend aller anderen Flussjungferarten hat in Sachsen seit 1990 jedoch keine Wiederbesiedlung der Flusssysteme stattgefunden. Die Ursachen hierfür sind unklar, v. a. da sich O. forcipatus in angrenzenden Regionen wieder ausbreiten konnte. Eventuell wirken sich die damaligen Gewässerbaumaßnahmen noch negativ bis in die heutige Zeit aus und werden durch aktuelle Projekte des technischen Hochwasserschutzes verstärkt.

Management

  • Fließgewässerrenaturierung und weitgehender Verzicht auf technischen Uferverbau und Begradigung; Erhöhung der Struktur- und Substratvielfalt sowie Fließdynamik des Gewässers
  • Erhalt besonnter Gewässerabschnitte durch partielles Entfernen beschattender Gehölze
  • Minimierung von Stoffeinträgen in Fließgewässer, Anlage und Pflege von Uferrandstreifen
  • Erhalt (halb-)offener, strukturreicher Landlebensräume (z. B. Nassgrünland, Staudenfluren, Gehölzgruppen) im Gewässerumfeld
Zentrales Medium für die Sammlung von Artdaten in der Naturschutzverwaltung des Freistaates Sachsen ist die Zentrale Artdatenbank beim LfULG: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/8048.htm; Aktuelle Übersichtskarten der Verbreitung von Arten in Sachsen können unter folgendem Link abgerufen werden: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/infosysteme/ida

Gefährdungen


  • wasserbauliche Maßnahmen im Gewässerbett und am Ufer, Entfernung von Kies- und Schotterbänken, Sohlangleichung, Uferverbau mit Mauern und Blocksteinen, Entfernen von Uferauskolkungen und fließberuhigten Zonen
  • Stauhaltung zur Energiegewinnung
  • Einleitung und diffuser Eintrag von Schad- und Nährstoffen in die Gewässer
  • Einsatz schwerer Technik auf der Gewässersohle mit Folgen von Langzeittrübung, Sauerstoffzehrung und Zerstörung von Larvenlebensräumen

Sonstiges


Literatur

  • Brockhaus, T. (2005): Kleine Zangenlibelle Onychogomphus forcipatus (Linnaeus, 1758). – In: Brockhaus, T. & U. Fischer (Hrsg.): Die Libellenfauna Sachsens. – Natur & Text, Rangsdorf: 147–149.
  • Günther, A. (2008): Erste Nachweise der Zangenlibelle (Onychogomphus f. forcipatus) an der Freiberger Mulde. – Mitteilungen des Naturschutzinstitutes Freiberg 4: 72–76.
  • Günther, A., M. Olias & T. Brockhaus (2006): Rote Liste Libellen Sachsens. – Materialien zu Naturschutz und Landschaftspflege 2006, hrsg. vom Sächsischen Landesamt für Umwelt und Geologie, Dresden, 20 S.
  • Müller, O. & T. Berger (2005): Wiederfund von Onychogomphus forcipatus forcipatus in Sachsen (Odonata, Gomphidae). – Libellula 24: 221–226.
  • Ott, J. & W. Piper (1998): Rote Liste der Libellen (Odonata). In: Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.): Rote Liste gefährdeter Tiere Deutschlands. – Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz 55: 260–263.
  • Sternberg, K., B. Höppner, A. Heitz, S. Heitz & B. Schmidt (2000): Onychogomphus forcipatus (Linnaeus, 1758) Kleine Zangenlibelle. In: Sternberg, K. & R. Buchwald (Hrsg.): Die Libellen Baden-Württembergs. Band 2: Großlibellen (Anisoptera). – Eugen Ulmer, Stuttgart: 327–348.

Bearbeitungsstand und Bearbeiter des Artensteckbriefes

Offizieller Artensteckbrief des LfULG; Stand: 10.02.2014; Bearbeiter: Marko Olias und Dr. André Günther (Naturschutzinstitut Freiberg); Hinweise und Änderungsvorschläge bitte an: Heiner.Blischke@smul.sachsen.de

Legende zum Artensteckbrief unter: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/22872.htm; Informationen zur Artengruppe für Sachsen: http://www.umwelt.sachsen.de/umwelt/natur/22988.htm